Carl Frei senior 
04. April 1884 - 10. Mai 1967

  

Niemand in der Drehorgelmetropole hätte nach dem Ruin der dreißiger Jahre zu glauben gewagt, daß je einmal wieder und wenn auch noch so klein und bescheiden, aus Waldkirch Orgelton erklingen würde. Allerdings, der neue Mann war in Waldkirch gar kein neuer, sondern ein alteingesessener Waldkircher.

Carl Frei ist in Schiltach (Schwarzwald) geboren und zwar am 4. April 1884. Sein aus Ahausen (Bodensee) gebürtiger Vater hatte einen Dienst bei der Gendarmerie gesucht und gefunden. Gefunden hatte er auch eine Lebensgefährtin. Diese holte er sich in Pauline aus Waldkirch, einer jungen Frau aus der verbreiteten und stockbürgerlichen Familie der Bayer. Bei ihr sah man es gar nicht gerne, daß die Bürgerstochter sich ausgerechnet an einen Gendarmen gehängt hatte.

Vater Frei bemühte sich mit Erfolg, um eine Versetzung in die Heimat seiner Frau durchzusetzen. Auch das gelang ihm. Und so marschierte der kleine Carl mit vielen anderen Waldkircher Buben in die Waldkircher Knabenschule. Im neunten Lebensjahr wurde bei ihm auch ein musikalisches Talent entdeckt, was hinreichend Grund war, ihn in die neu errichtete Waldkircher Musikschule zu Meister Matthäus ]äger zu schicken. Wie alle Schüler begann er seine Ausbildung im ” Vorkurs ”, wo er die Grundlagen der Harmonielehre kennen lernte. Aus einem guten Klavierspieler wurde auch ein tüchtiger Trompeter und als solcher kam er in die Knabenmusik. Unter den Zöglingen der zweiten Klasse wird im Prüfungsbericht vom 31. ]uli 1899 auch Carl Frei lobend hervorgehoben, weil er eine eigene Komposition dem Prüfungsausschuß vorlegen konnte. Königl. Württembg. Hofmusikdirektor Hugo Wehrle vermerkte am 31. ]uli 1901, " daß sich ehemalige Schüler der Anstalt (Musikschule) mitunter im komponieren versuchen, so lag auch diesmal als eigene Komposition eines solchen ein Marsch von C. Frei vor, welcher gut und fleißig gearbeitet ist.

Mittlerweile stand Carl Frei schon seit 1898 in der Ausbildung als Musikzeichner bei Wilhelm Bruder Söhne und lernte unter Franz Bruder  die Kunst des Musikzeichnens. Von der Knabenmusik hatte er in die Stadtmusik übergewechselt und als am 19.August 1901 die Bahnstrecke Waldkirch-Elzach eröffnet wurde und die letzte Postkutsche das Städtle verließ, saßen Rudolf Weißer und Carl Frei bei dem Postillon auf dem Bock und bliesen: »Muß i denn zum Städtele hinaus . . . «

Carl Frei gehörte auch jener Abteilung der Stadtmusik an, die als »Turnermusik« dem damals sehr rührigen Turnverein angeschlossen war. 1901 wechselte er die Stellung und ging zur Waldkircher Niederlassung der Firma Gavioli, Paris. Dort erhielt er eine Weiterausbildung im Zeichnen, Stimmen und Intonieren. Im Jahr darauf führte ihn der Weg ins Stammwerk, nach Paris, in dem er sich weitere wertvolle Kenntnisse aneignete. Er arbeitete dort unter der Leitung von Ludevico Gavioli. Als einziger Deutscher unter lauter Franzosen hatte er mitunter keinen leichten Stand. Da kam es ihm sehr gelegen, daß ihn die Firma hin und wieder zu Montagen und Reparaturen nach Deutschland, Italien, die Schweiz, Holland und Belgien schickte. 1906 mußte Carl Frei nach Freiburg zu den 76ern (Artillerie) einrücken. Seine Firma wußte dabei eine Chance zu nutzen. Sie konnte ihren Mitarbeiter vom Kasernenaufenthalt befreien und mieteten für ihn ein Hotelzimmer, damit er dort in seiner Freizeit für sie arbeiten konnte. Der Sinn dieser Bemühungen war eine von Gavioli an Frei gestellte Aufgabe. Er sollte seiner Firma eine kleinere 89er Orgel entwerfen. Das wäre in einer Kasernenstube nicht möglich gewesen.

Vom Militär entlassen, zog es Carl Frei nicht mehr an die Seine, sondern schnurstraks an die Schelde. Bei der Firma Mortier in Antwerpen trat er als Musikzeichner ein, gab aber nur ein kurzes Gastspiel in diesem Hause. Schon 1910 machte sich Frei selbständig und hatte bald ein gutgehendes eigenes Geschäft.

Am 5. Oktober 1910 heiratete er Leonia Verloo und am 7. November 1912 kam der Sohn Carl zur Welt. Doch der erste Weltkrieg brauchte Soldaten und zu denen gehörte auch Carl Frei. 1919 kam er aus russischer Gefangenschaft nach Hause. Sein Unternehmen in Antwerpen war als Feindvermögen vom Staat eingezogen worden. 

Was tun? Alfred Bruder, der auch erst aus dem Feld heimgekehrt war, fing, nachdem Limonaire Frères die Fabrikräume hatte verlassen müssen, darin eine eigene Orgelfabrik an und nahm Carl Frei als Musikzeichner auf. Doch den 39-iährigen hielt es nicht lange im Schwarzwald. Schon am 1. März 1920 übersiedelte er mit seiner Familie in die Niederlande und gründete in Breda ein eigenes Geschäft. Die orgelfreudigen Holländer hatten neuen Zuzug erhalten. Ob sich alle Orgelhersteller darüber freuten, mag dahingestellt bleiben.
Jedenfalls setzte sich der wagemutige Deutsche gegen alle Konkurrenz erfolgreich durch. In Holland soll es viele Orgelwerke aus seiner Produktion geben und es gäbe deren noch viel mehr, hätte 1939 nicht ein neuer Krieg diese friedliche Arbeit gestört. Ein zweitesmal hieß es für die Familie den Bündel zu packen und heimkehren in das von Kriegswunden gezeichnete Deutschland. Carl Frei hatte aber auch da schon wieder seine Pläne. Seinem Freund Heinrich Mack, dem Hersteller von Schaugeschäften und Transport- und Wohnwagen, schrieb der inzwischen zum Heeresdienst Eingezogene, von Schönebeck an der Elbe aus, am Heiligabend 1941 einen Brief. Er bezog sich dabei auf eine Besprechung mit ihm und teilte ihm seine Vorstellungen über den Aufbau einer rentierenden Orgelfabrik in Waldkirch mit. 

"Selbst arrangiere und zeichne ich die Musik für alle Sorten und Modelle von Orgeln, sowie intoniere die Pfeifen und harmonisiere die Orgeln selbst. Brauche ungefähr vier bis fünf Arbeiter, unter Umständen könnte (ich) zwei Facharbeiter aus Holland mitbringen, weiter mehrere Holzbearbeitungs- und Spezialmaschinen und Werkzeuge (für Orgelbau und Musik), die ich selbst stellen könnte, d. h. gegen Prozentsatz ihrer Werte während der Kriegsdauer vermieten könnte; weiter brauche ich einen passenden Platz zum arbeiten, ungefähr zusammen (Lagerplatz, Maschinenraum, Werkstatt) ca. 200 bis 250 qm, weiter ca.20.000 bis 25.000 RM Betriebskapital (Vorausgesetzt, daß ich meine Maschinen mitbringe). Mein Monatsgehalt beträgt 600 RM plus 5 % vom Umsatz.Die evtl. Übersiedlung meiner Werkstatt ist auf Kosten des Geschäfts. Da ich in Holland eine rentierende Orgelfabrik habe, welche nach dem Krieg durch meinen Sohn betrieben wird, soll auf mein Vorschlag bei dem Waldkircher Geschäft einverleibt werden. Dieses sind die Hauptzüge.

So ganz klar ist der letzte Satz nicht, aber der Plan kam so nicht zur Durchführung. Daß der Krieg für Deutschland verloren gehen und er sein Werk in Breda nicht mehr besitzen sollte, daran hatte Carl Frei bei der Abfassung des Briefes wahrscheinlich nicht gedacht. Doch das eine wußte er genau, seit der Waldkircher Jubiläumsausstellung im Jahre 1936 hatte er in Waldkirch ein Dach über dem Kopf. Aus dem Bestand der Ausstellungsobjekte kaufte er damals ein kleines Haus und hatte es als "Heimathütte« am Schwarzenbergweg über dem »Felsenkeller« aufstellen lassen. Diese wurde nun nach dem verlorenen Krieg ein Heim für ihn und seine Familie und gleichzeitig die Planungsstätte für die Ausführung seiner künftigen Pläne. Sie ließen nicht lange auf sich warten. Gemeinsam mit seinem Sohn Carl begann Frei von neuem. Zunächst im Saal des Gasthauses zum "Rebstock«, in dem er vor Jahren Gavioli Orgeln gebaut hatte. Zum Kriegsende hatte sich die Parteizeitung  "Der Alemanne” aus Freiburg dorthin evakuiert. Die Zementfundamente der Druckmaschinen staken noch im Boden, als Frei einzog. Bessere Unterkunft bot später ein anderes Gasthaus. Die rückwärtigen Räume des "Schwarzwälder Hofs« wurden bezogen, in denen sich schon früher einmal eine Orgelbauwerkstätte befunden haben soll. Sie war nie von Bedeutung. Der Wirt, Fritz Bruder (1874-1907), war der Eigentümer des Hauses und könnte, wie sein Bruder, Gavioli-Direktor Richard, nebenbei sich auch im Orgelbau versucht haben. Mit wenigen Arbeitskräften baute Frei eifrig und mit Erfolg. Eine Orgel nach der anderen entstand, und darunter waren nicht nur kleine Instrumente. Eine große Orgel kam von dort in das Niederländische Orgelmuseum nach Utrecht. Doch im »Schwarzwälder Hof « war nicht die letzte Unterkunft der nunmehr als Carl Frei & Sohn firmierenden Werkstätte. Das Ernährungshilfswerk hatte im Krieg an der Hohlgasse (Kandelstraße) einen eingeschossigen Bau errichtet, der jetzt zum Verkauf stand. Den erwarb Carl Frei 1959, ließ einen Anbau erstellen und richtete darin und in dem bereits vorhandenen rückwärtigen Gebäudeflügel seine Orgelbauanstalt ein. So waren Wohn- und Werkgebäude in unmittelbarer Nähe und Sohn Carl konnte 1960 mit seiner Familie dort einziehen. Die Eltern blieben in der »Heimathütte« wohnen, die nach ihrem Ausbau zu einer gemütlichen Wohnstätte geworden war. Für den zähen Lebens- und Behauptungswillen des über Sechzigjährigen könnte kein treffenderes Zeugnis angeführt werden als ein Auftrag, der ihn noch in der ersten Zeit des Wiederaufbaus erreichte. Es war die Zeit vor der Währungsreform. An allem war Mangel. Auch an dem, was zum Bau einer großen Orgel gehört, wie Leder, Bleirohre, Leim, Farben und noch an vielem anderen. Ohne Vitamin »B« war kaum etwas zu haben, auf dem regulären Markt jedenfalls nicht. Da kam der Schausteller Otto Barth aus Bad Dürkheim und bestellte bei Carl Frei eine große Orgel. Frei sagte zu. Die Orgel wurde gebaut und geliefert. Wenige Jahre danach stellte sich bei ihm der Münchener Schausteller Zierer ein. Auch er wollte ein neues Orgelwerk und zwar ein ganz großes.
Vater und Sohn machten sich an die Arbeit. Es war im Jahre 1949. Die Wirtschaftslage hatte sich merklich gebessert. Aber ganz problemlos war die Materialbeschaffung auch jetzt noch nicht. Eine Riesenorgel war entstanden und Zierer nahm sein teures Stück mit nach Kanada. Die Jahre vergingen. Carl Frei sen. war inzwischen 83 Jahre alt geworden.

Da traf ihn am 10. Mai 1967 der Tod. Ein erfülltes Leben war zu Ende gegangen. Carl Frei hatte nicht umsonst gelebt. Mit seinem Tod verbinden sich die Worte des Geistes : ". . . sie sollen ruhen von ihren Mühen, und ihre Werke folgen ihnen nach! ”'

Ein Jahr nach dem Tode kam jene Riesenorgel des M. Zierer nach Waldkirch zurück. Der Sohn Carl nahm einen weiteren Ausbau vor. Das Werk mit 650 Pfeifen und einem Wasserspiel, im Glanze von 1500 GIühbirnen, überstrahlte alles, was auf dem Gebiete des mechanischen Orgelbaus bisher vorhanden war. Sie wurde die größte Konzertorgel der Welt. Die Brüder Conklan, als neue Besitzer, stellten das Werk im Bavarian Beer Garden in Toronto auf. Ein großes Volksfest, dem Münchener Oktoberfest gleich, wurde abgehalten. Daneben ging Barry Conklan mit der Orgel auf Tournee. Zwölf Jahre war die Orgel auf allen wichtigen Schaustellerplätzen der Vereinigten Staaten und Kanadas gezeigt worden, sie war das Prunkstück mancher Ausstellungen und TV-Sendungen.

 

Im Jahre 1981 kam das großartige Instrument nach Europa zurück. Am 20. Juni wurde es in Montreal verschifft und kam glücklich in der Schweiz bei ihrem neuen Besitzer Hanspeter Kyburz an. Danach aber hat das Instrument erneut den Standort gewechselt. Dr. Heinrich Weiss-Stauffacher in Seewen (Kt. Solothurn) war der Erwerb gelungen. So wird bei ihm, und wie zu hoffen, noch lange Zeit dieses große Werk die Erinnerung an Carl Frei sen. wachhalten.

Auch ein anderes Denkmal an Carl Frei, jene Großorgel des Otto Barth, ist nicht nur erhalten geblieben, sondern sie wurde nach dem Tod des Erbauers durch seinen Sohn auch einem weiteren Ausbau unterzogen und ist zu einem Spitzenwerk in der Weltproduktion geworden. Der Neffe des Bestellers, Rudolf Barth in Bonn-Beuel, wollte ein Wunderwerk der Orgelbaukunst haben und Carl Frei jr. machte sich 1976 daran, das mit seinem Vater geschaffene Werk, dem Wunsche des Auftraggebers entsprechend, zu erweitern. Nachdem die Arbeit beendet war, stand ein weiteres Orgelwerk aus der Klasse der Superlative zum Versand bereit. Die Ausmaße zeichnen sich nicht allein im Äußeren ab, wo die Fassade auf 9,5 m verbreitert wurde. Allein durch die jetzt 32 Bässe, von denen die größte Pfeife vier Meter lang ist, hat das Tonvolumen erheblich gewonnen. Ihr gegenüber mißt die kleinste Pfeife gerade drei Zentimeter. Was aber den Wert des Instrumentes so erheblich mehrt, ist die Musik mit Kompositionen und Arrangements von Carl Frei sen. 

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Frank Hentschel | mail@frank-hentschel.de